Mutter aller Künste
Stabilität, Nützlichkeit und Schönheit – auf diesen drei Prinzipien beruht Architektur dem römischen Theoretiker Vitruv zufolge. Er gab ihr auch den Titel „Mutter aller Künste“. Historisch betrachtet hat der Beruf des Architekten seinen Ursprung in der Baumeisterei. Vermögende Personen wie Pharaonen leisteten sich einen Baumeister, der kunstvolle Konstruktionen für sie errichtete und so eine ästhetische Abgrenzung zum gewöhnlichen Bauen schuf.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden Architektinnen und Architekten zu Generalisten. Sie setzen sich immer noch mit der Ästhetik der Räume und deren Wirkung auf den Menschen auseinander, hinzugekommen ist die Koordination von Ingenieur*innen, Fachgutachter*innen sowie Bauherr*innen während der Planungs- und Bauprozesse. Gleichzeitig muss Nachhaltigkeit in jeder Bauphase und in jedem Gebäudebestandteil mitgedacht werden.
Seit einigen Jahren wird die Architektur dabei von künstlicher Intelligenz unterstützt. Sie hilft mit Building Information Modelling und einem 3D-Modell herauszufinden, was möglich ist und was nicht – und zwar bevor das Fundament gegossen wird.
WOHLERGEHEN
Für Menschen gedacht: „Architektur hat einen hervorgehobenen Wert für die ganze Welt. Wir alle haben physisch mit ihr zu tun – ob bei der Arbeit, zu Hause oder unterwegs. Architektur ist für Menschen da. Als ein zentraler und wichtiger Bereich, der unser menschliches Wohlergehen beeinflusst, kommt sie uns dabei sehr nah. Diese Nähe rückt bei manchen Bauvorhaben in den Hintergrund, da immer wieder neue Normen, juristische Vorgaben oder Regelungen zu beachten sind – man braucht heutzutage fast eine Meisterausbildung von 30 Handwerkern.“
DISKURS
Gesellschaftliche und soziale Prozesse abbilden: „Als Dozent ist es für mich wichtig, mit einem Bein noch in der Praxis zu stehen. Das finden zum einen die Studierenden interessant, zum anderen werde ich dadurch gezwungen, mich mit aktuellen Entwicklungen zu befassen. Danach folgt der Diskurs im Seminar. Schließlich ist unser Anspruch als Architekten: Immer Vordenker gesellschaftlicher und sozialer Prozesse zu sein. Und die Gesellschaft fordert, dass Gebäude auch für die Zukunft gebaut werden. Das bedeutet: Leicht an neue Nutzungsbedingungen anpassbar und nachhaltig – am besten nur aus Materialen, die im Umkreis von 60 Kilometern produziert werden. Dieser Nachhaltigkeitsgedanke existierte so vor 50 Jahren noch nicht.“
VORBILDCHARAKTER
Fachliches wird überholt: „Ich bin von unserem Bochumer Lehrkonzept überzeugt. Wir bilden in acht Semestern nicht nur kammerfähige Absolventinnen und Absolventen aus, wir geben ihnen mit drei Masterstudiengängen auch die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln – als eine der ersten Hochschulen bundesweit. Besonders ist auch der Studiengang StädtebauNRW, den wir im Verbund mit anderen Hochschulen in NRW anbieten. Er befasst sich mit den Herausforderungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels unserer Region auf städtebaulicher Ebene – architektonisch ein ganz besonderer Reiz der Metropolregion. Bürgermeister aus den USA kommen, um sich über den Transformationsprozess zu informieren. Und nicht nur als Modellregion sind wir ein Vorbild für andere Länder. Auch unser kommunikatives Lehr- und Lernkonzept der BlueBox ist europaweit einmalig. Wir setzen somit nicht nur auf fachliches Wissen, denn das kann schnell überholt werden. Wir fördern demokratischen Austausch, soziales Denken und eigenständige Entwicklung. Hoffentlich geben wir so unseren Absolventinnen und Absolventen alles mit, damit sie die Gebäude der Zukunft entwerfen können.“
ZUKUNFTSRÄUME
Basis für bessere Gesellschaft: „In zehn Jahren werden sich Gestaltung und Handwerk wieder mehr verbinden – ganz im Sinne des Bauhaus. Das bedeutet für uns heute schon, selber mit Materialien zu forschen und diese auszuprobieren. Dafür steht unseren Studierenden das Zukunftslabor für Nachhaltigkeit im Bau zur Verfügung. Auch zwei weitere Räume werden die Zukunft der Hochschule aus meiner Sicht prägen: Die BlueBox, in der Studierende Projekte gestalten und sich austauschen können, soll zu einer Zukunftswerkstatt weiterentwickelt werden. Für die gesamte Hochschule stelle ich mir ein zentrales LearningCenter mit Mensa, Bibliothek, offenen Kommunikationsbereichen und multifunktionalen Räumen vor. Diese Räume könnten menschliches Wohlbefinden und akademische Bildung verbinden und so die Basis für eine bessere Gesellschaft bilden.“
Diskursives Lehr- und Lernkonzept
BlueBox, 1997, Prof. Wolfgang Krenz
Exzellenzcenter, International Learningcenter, Kompetenzzentrum – die BlueBox hat viele Bezeichnungen. Das würfelförmige Gebäude der ehemaligen Ausweichmensa der Ruhr-Universität Bochum dient seit Ende der 1990er Jahre als eine besondere Lernwelt – nicht nur für angehende Architektinnen und Architekten.
Der Umbau – eine Hommage an die Architekten Mies van der Rohe und Egon Eiermann – sollte Raum für grenzenlose, intellektuelle Diskussionen schaffen. Dieser diskursive Ansatz ermöglichte einen semesterübergreifenden Austausch und sollte so zu Höchstformen der Kreativität und zu theoretischem und wissenschaftlichem Denken inspirieren. Dieses kommunikative Lehr- und Lernkonzept, das von Professor Wolfgang Krenz im Rahmen einer neuen, nachhaltigen und zukunftsweisenden Lehre entwickelt und umgesetzt wurde, ist europaweit einzigartig und hat sich in den vergangenen 20 Jahren insbesondere in der deutschen Hochschullandschaft als Marke etabliert. Auf 6.000 Quadratmetern entstanden realitätsnahe Denk- und Arbeitsräume – ähnlich einem Architekturbüro mit individuellen Arbeitsplätzen. In der BlueBox fand die Vision des nachhaltigen Lehrens und Lernens den geeigneten Raum, um Ziele und Inhalte für modernste Ausbildung und Bildung umzusetzen. Dort verschmolzen Lehr-, Lern-, Arbeits- und Kreativort zu einem kommunikativen Lebensraum, auch für internationale Kooperationen.
Mobile Blase
BLOON, 2016, Dipl.-Ing. Agnes Giannone
Wenn die Trennung von Außen und Innen nur eine dünne Haut ist, der Boden weich und nachgiebig – kann man dann noch von einem Haus sprechen? BLOON gibt darauf eine provokante Antwort. Das Projekt beschäftigte sich mit der Zukunft studentischen Wohnens, mitten im Ruhrgebiet, mitten im Strukturwandel. In einer Umfrage im Rahmen des Projektes unter Bochumer Studierenden und Dozierenden wurde der Bedarf ermittelt und daraufhin die Idee des Wohnballons entwickelt. Zwischen zwei Wohnhäusern in der Bochumer Innenstadt wurde dieser für eine Woche entfaltet – ohne Küche, ohne Möbel. Der Zutritt war nur über eine Telefonzelle möglich, die Haupteingang, Treppenhaus und Badezimmer zugleich war.
Eine Übernachtung in BLOON wurde mit Daten, wie Fotos vom eigenen Smartphone, bezahlt, die in einer lokalen Cloud gespeichert wurden. Abends wurden die privaten Bilder der Bewohnerinnen und Bewohner auf die durchsichtige Hülle projiziert. So verschmolz das Private und das Öffentliche. BLOON löste sich auf vielen Ebenen von traditionellen Vorstellungen des Wohnens und kam dem nomadischen Lebensstil der Studierenden entgegen – die studentische Idealvorstellung einer Wohnung, die in einen Rucksack passt, müssen die Studierenden allerdings noch entwerfen.
Afrikanische Bedürfnisse
Krumhuk-Farm, 2011, Prof. Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Jörg Probst
Studierende der Architektur verschlägt es seit 2011 immer wieder in den Südwesten Afrikas. Die Krumhuk-Farm in Namibia bietet ihnen auf etwa 6.000 Hektar viele Möglichkeiten, praktische Erfahrungen in nachhaltiger Planung zu sammeln. Neben dem Bau einer Photovoltaikanlage, die vor Diebstahl durch Affen geschützt werden musste, oder der Erstellung eines Trink- und Regenwasserkonzeptes, hatten Studierende auch die Möglichkeit, sich ihr eigenes Gasthaus zu bauen – allerdings aus Lehm. Und in Afrika gehört zum Hausbau noch Muskelkraft: Der Lehm wurde handgeschüppt und -gesiebt und zum Schluss mit einer Lehmpresse zu Ziegeln geformt.
Diese archaische Grundform des Bauens half allen Beteiligten dabei, sich über einen längeren Zeitraum mit den Lebensumständen in Afrika auseinanderzusetzen und eine nachhaltige Planung der Häuser, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Einheimischen, zu ermöglichen.