Spagat im Wandel
Verwaltung, Bauämter oder Ingenieurbüros – und natürlich die Bauindustrie – sind Arbeitgeber für Bau- und Umweltingenieur*innen. Deren Aufgabe besteht darin, komplexe Bauvorhaben zu planen und zu realisieren. Neben Brücken, Sportarenen oder Radwegen fallen auch die Renaturierung von zuvor begradigten Gewässern in ihren Einsatzbereich. Den schwierigen Spagat, Bauvorhaben zu realisieren und die Natur dabei zu schützen oder gar unberührt zu lassen, versuchen die Ingenieur*innen dabei zu meistern.
Im Laufe der Jahre standen im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen immer wieder Veränderungen an: Neue Institute wurden gegründet und fachliche Inhalte gebündelt. Der Fachbereich entwickelte sich zur Keimzelle innovativer Ideen wie beispielsweise dem Internationalen Geothermie-Zentrum, das nach 20 Jahren Aufbauarbeit seit 2020 zentraler Bestandteil eines neuen Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft ist.
BESTÄNDIG
Gebaut wurde immer: „Noch in den 1980er Jahren standen Konstrukteure an Zeichenbrettern, heute wird fast ausschließlich am Computer geplant. Uns ist es nur wichtig, dass bei all dem technischen Fortschritt unsere Studierenden das Hinterfragen nicht verlernen. Computerprogramme sind Hilfsmittel, die zwar Berechnungen beschleunigen, aber auch die Gefahr bergen, sich auf ein schnelles Ergebnis zu verlassen. Mit der Zeit spielten auch immer mehr Umweltfragen eine Rolle. Wir machen uns bewusster Gedanken, wohin versiegelte Flächen den Starkregen hinleiten oder wie Dachbegrünungen gestaltet werden. Auch diese interdisziplinäre Ausrichtung im Studium verschafft unseren deutschen Ingenieur*innen im Ausland ein sehr hohes Ansehen.“
REGIONALBEZUG
Mitten drin: „Wir sind im Herzen des Ruhrgebietes und haben den Strukturwandel hautnah erlebt. Wir haben diesen Umbruch immer konstruktiv begleitet und an der Umgestaltung mitgewirkt. Kein Wunder, dass viele Abschlussarbeiten einen Regionalbezug haben – die Themen liegen quasi auf der Straße. Wir kooperieren dazu mit Kommunen und Unternehmen in der Region. Und nicht selten entwickeln sich daraus gemeinsame Projekte und Forschungsaktivitäten. Hierbei erweist es sich als hilfreich, dass wir den internationalen Austausch unserer Studierenden fördern und selbst in internationalen Forschungsvorhaben mitwirken.“
POTENZIALE
Sich selbst und die Welt gestalten: „Sowohl Bau- als auch Umweltingenieur*innen sind für die Welt wichtig. Deswegen bilden wir Ingenieur*innen aus, die die Umwelt mitgestalten und Nachhaltigkeit immer mitdenken. Sie sollen über den Tellerrand schauen und Projekte auch nach ihrem sozialen und gesellschaftlichen Wert beurteilen. Das können sie nur, wenn sie schnell in der Praxis mitwirken und ihr eigenes Selbstverständnis mitgestalten können. Auch unsere vielfältigen Forschungsaktivitäten tragen dazu bei. Durch praxisnahe Kooperationen mit Kommunen, ein familiäres Lernumfeld und die Nähe zu den Herausforderungen, die ein Ballungsraum wie das Ruhrgebiet bietet, schaffen wir eine spannende Mischung in der Lehre und Forschung. Auf diese Weise prägt das Studium die junge Persönlichkeit, weckt Selbstsicherheit und entwickelt Potenziale.“
KLIMANEUTRAL
Profil schärfen mit Nachhaltigkeit: „Stillstand gibt es bei uns eigentlich nicht. Das zeigt allein, dass wir bereits einige Promotionen in unserem Fachbereich vergeben durften – bei vielen Hochschulen noch Neuland. Außerdem haben wir den neuen Studiengang ‚Regenerative Energien‘ mit dem Fachbereich Maschinenbau und Mechatronik und Elektrotechnik und Informatik entwickelt. Ich wünsche mir, dass wir als Hochschule diesen Weg weitergehen und unser Profil als umweltrelevante und nachhaltige Institution schärfen. Und wer weiß, vielleicht werden wir sogar die erste klimaneutrale Hochschule …“
Simulierte Realität
Wasserbaulabor, 1995, Prof. Dr.-Ing. Bernhard
HaberTalsperren, Flussufer und Seen im Maßstab 1:20 oder 1:100. Solche Modellbauten nutzen Ingenieur*innen bereits seit rund 200 Jahren, um Simulationen von Wasserbauprojekten unter realen Gegebenheiten durchzuführen. Seit Mitte der 1990er werden die kleinen Nachbauten auch im Wasserbaulabor an der Hochschule Bochum eingesetzt.
Schafft reale Bedingungen für Simulationen: Die Strömungsrinne im Wasserbaulabor
So gehört das Modell einer Ruhrtalsperre in Hattingen mit zu den ersten Versuchen, um die Auswirkungen des Aufstaus einer Wassergewinnungsanlage zu simulieren. 1999 wurde das Wasserbaulabor erweitert: 450 Quadratmeter Nutzfläche, davon 300 allein für das Labor. Praktisch veranlagte und handwerklich ausgebildete Studierende übernahmen zumeist den zeitaufwändigen Auf- und Umbau der physikalischen Modelle. Doch der Aufwand lohnt sich auch noch heute im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung. Denn Realität folgt oft keinen Formeln. Aufgrund von existenten Unterschieden zwischen Abbildungen in einer Simulationssoftware und der Realität in Form dieser modellhaften Hardware, lohnt immer eine Überprüfung der computerbasierten Ergebnisse unter realen Bedingungen.
Zementierter Hohlraum
Bemessungsansätze für zweiachsig gespannte Hohlkörperdecken mit neuartigen Hohlkörperformen, 2015, Dr.-Ing. Denis Busch
Die Forschung wird immer mehr in den Hochschulalltag integriert, sodass auch Promotionen an der BO erworben werden können.
Eine der ersten Doktorarbeiten, die im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen entstanden sind, befasst sich mit Hohlkörpern in Stahlbetondecken. Diese hohlen Formen werden verbaut, um weniger Beton zu verwenden und das Deckengewicht zu reduzieren. Ein weiterer Nebeneffekt ist die verbesserte CO₂-Bilanz des Gebäudes. Um die ideale Form herauszufinden, spielte eine Software verschiedene Formen von Hohlkörpern durch. Diese genetische Optimierung folgt dabei den Regeln der Darwinistischen Evolutionstheorie: Survival of the fittest. In diesem Fall hat das Evolutionsstadium der Kegelform überzeugt. Was bei der computergestützten Analyse als optimale Hohlkörperform herauskam, bestätigte ein praktischer Bauteileversuch. Das Ergebnis der Doktorarbeit ist nicht nur die perfekte Hohlköperform, sondern auch ein Patent.
Menschen bilden
Fachbereichseigener Studierendencoach, 2015, M.A. Christiane Schnitzler
Einen Studierendencoach, exklusiv für den eigenen Fachbereich – darüber können sich Studierende des Bau- und Umweltingenieurwesen freuen. Während eines Pilotprojektes stellte der Fachbereich eine Ansprechpartnerin zur Verfügung, die sowohl für studien- und selbstorganisatorische Fragen als auch für persönliche Zweifel ein offenes Ohr hatte.
Die Nachfrage war groß. 2017 wurde eine feste Stelle eingerichtet und mit Christiane Schnitzler besetzt. Für sie hat es sich bewährt, näher an den Studierenden zu sein: „Ich kann als fachbereichseigener Coach viel besser das Studium, die Besonderheiten der Module und Anforderungen der Lehrenden beurteilen. Außerdem ist es schön, die persönliche Entwicklung der Studierenden zu begleiten.“ Die Erziehungswissenschaftlerin mit psychologischen Schwerpunkten ist teils über Monate an der Seite ihrer Coachees und hört genau hin, was unbewusste Ursachen von z. B. Aufschiebe-Verhalten oder einer simplen Schreibblockade sein könnten. Ganz elementar ist der Umgang mit Zeit und Freiheit. „Viele junge Menschen wissen nicht, wie sie die Freiheit des Studiums nutzen sollen. Sie entwickeln sich noch, entwickeln ihre Persönlichkeit und wir sind auch hier, die jungen Menschen zu selbstverantwortlichen Persönlichkeiten zu bilden“, sagt Christiane Schnitzler. Auch ein besonderes Verständnis von Problemlösungen unterscheidet die angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure von anderen Studierenden: Probleme müssen greifbar dargestellt und in Einzelteile zerlegt werden – dafür reiche manchmal schon ein Kalender oder Notizbuch.
Kohlenstoffarme Zukunftsenergie
Internationales Geothermiezentrum, 2003
Als Kompetenzzentrum mit anwendungsorientierter Forschung wurde das Internationale Geothermiezentrum (GZB) 2003 im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen gegründet. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen dort, wie man mithilfe von neuen technologischen Ansätzen die besten Voraussetzungen für die Versorgung mit regenerativer, CO₂-neutraler Energie schaffen kann.
Diese Forschungen zu Wärmebergbau, Wärmespeicherung, Bohrlochtechnologien und Georessourcen leisten einen entscheidenden Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Energieversorgung mit Erdwärme. Außerdem ebneten sie den Wegnzu einer einzigartigen Übernahme: Seit 2020 ist das GZB zentraler Bestandteil des neuen Instituts für Energieinfrastrukturen und Geothermie der Fraunhofer-Gesellschaft – das erste Mal, dass eine Hochschule für angewandte Wissenschaften die Grundlage für ein solches Fraunhofer-Institut legte.