Im Juni 1999 nahm mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung ein umfassender Reformprozess der Hochschullandschaft an Fahrt auf. Mit den Maßnahmen sollten sich die Rahmenbedingungen für Lehre und Forschung in Europa und Deutschland verändern, und das nicht nur an den Universitäten, sondern auch an den damals noch Fachhochschulen genannten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW). Im Rückblick zeigt sich die Umstellung der Studienabschlüsse auf Bachelor und Master für die Hochschule Bochum, bei aller anfänglichen Kritik, als Erfolgsgeschichte. Das Bachelor-Master-System war ein zentraler Baustein der überfälligen Aufwertung der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten. Eine Aufwertung, die unter anderem dazu geführt hat, dass das Promotionsrecht für HAW heute in greifbare Nähe gerückt ist.
An der Hochschule Bochum allerdings traf „Bologna“ in der Zeit um die Jahrtausendwende auf bereits laufende Innovationsprozesse, die damals in der deutschen Fachhochschullandschaft Leuchtturmcharakter hatten. Wesentliche Bestandteile der Studienreform wie etwa die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen waren bereits angestoßen worden.
Prof. Dr. Reiner Dudziak war von 2002 bis 2006 Rektor der Hochschule und erinnert sich an die Anfänge des Bolgona-Prozesses. „In der Idee, aus dem politischen Raum Europa einen einheitlichen Bildungsraum zu machen, steckte für uns Euphorie.“ Studienaufenthalte im Ausland, die an der Hochschule immer schon gefördert wurden, wurden durch Bologna erleichtert und naheliegender. Partnerhochschulen wie die London South Bank University wurden verstärkt frequentiert, „es gab eine Art Wettbewerb unter den Studierenden, wer war am weitesten weg“, erzählt Reiner Dudziak.
Allerdings gab es auch in Bochum Kritik. „Das war von Fachbereich zu Fachbereich verschieden. Es gab zwei Muster: Die eine Ansicht war, wir nutzen den Prozess und werden Vorreiter. Andere haben eher abgewartet und waren skeptisch.“ Blättert man in den Ausgaben des bis 2007 erschienenen Hochschulmagazins fhboJOURNAL, findet man im Jahr 1999 kritische Kommentare zum Beispiel aus den Fachbereichen Bauingenieurwesen und Maschinenbau, die sich vehement gegen die Einführung eines Bachelor als einem „Diplom Light“ aussprachen.
„Etablierte und erfolgreiche Systeme, die sich natürlich auch durch ein hohes Resistenzvermögen auszeichnen“, erinnert sich Reiner Dudziak. Und Bedenken dahingehend, dass ein Bachelor-Studiengang mit nur sechs Semestern in bestimmten Fachbereichen zu wenig sein würde, um die Studierenden auf das Berufsleben vorzubereiten, waren ja keineswegs aus der Luft gegriffen.
Die Studierenden immer im Blick
Die Weise, in der der Studiengang Architektur an der Hochschule Bochum mit den neuen Maßgaben umging, ist ein Beispiel dafür, wie mögliche Fallstricke der Bologna-Reform umgangen wurden. Einer dieser Fallstricke: Ein Bachelor-Abschluss im Studiengang Architektur nach sechs Semestern wäre für angehende Architektinnen und Architekten nicht sonderlich attraktiv gewesen. Denn für die Zulassung zur Architektenkammer war und ist der Abschluss eines achtsemestrigen Studiums obligatorisch.
Prof. Harald Gatermann war in den Jahren 1998 bis 2002 Dekan im Fachbereich Architektur, von 2002 bis 2006 Prorektor und bis 2020 als Professor in Bochum tätig. Er erzählt, wie 2003 einer der ersten achtsemestrigen Bachelor-Studiengänge Architektur durchgesetzt werden konnte, an den dann ein zweisemestriger konsekutiver Master anschließen sollte.
An diesem Punkt war man in Bochum der Zeit voraus – die 8-plus-2-Struktur war hier bereits vor der Einführung des Bachelor etabliert. Im Jahr 2002 nämlich wurde der Master-Studiengang „Architektur Media Management“ (AMM) eingerichtet, der mit zwei Semestern an den Diplom-Studiengang Architektur anschloss. „Wir sind mit der ganzen Kollegenschaft in die Schweiz gefahren und haben uns an der ETH Zürich, einer der renommiertesten Adresse für Architekten, zeigen lassen, wie dort ein Nach-Diplom-Studiengang aussieht“, erinnert sich Harald Gatermann. Der AMM-Master-Studiengang wurde (nach großem Zuspruch eines Auftakt-Symposiums Anfang 2002) vom Bildungsministerium genehmigt und im Herbst 2002 gestartet. „Das war relativ mutig. Das Ministerium hat gesagt ‚Seid innovativ‘, und wir haben gesagt, gut, sind wir innovativ, und haben einen Master konzipiert, der noch nicht mit dem Bachelor unterfüttert war.“
Der nächste Schritt war es, durchzusetzen, dass der Bachelor in der Architektur in Bochum nicht auf sechs Semester Studienzeit begrenzt wurde. „Wir haben viel Gegenwind bekommen von Gutachtern im Akkreditierungsverfahren, weil wir von Anfang an ein achtsemestriges Bachelor-Studium anbieten wollten“, erzählt Harald Gatermann.
„Da waren wir in Bochum in gewisser Weise Außen-seiter“, – um so allen erfolgreichen Studierenden den Zugang zur Architektenkammer und damit den Einstieg ins Berufsleben nach dem Bachelor zu ermöglichen. „Alles andere hätte damals geheißen, dass nur zwanzig Prozent der Studierenden den Master machen dürfen und achtzig Prozent nicht kammerfähig sind.“ Die Einführung der 8-plus-2-Struktur ist ein frühes Beispiel dafür, wie die Umstellung auf Bachelor/Master mit den Bedürfnissen der Studierenden im Blick organisiert wurde; und nicht entlang einer abstrakten Vorstellung von Effizienz.
Eine ganzheitliche, vernetzte Ausbildung
Der Bologna-Prozess hatte nicht nur Effekte auf die Struktur der Studienabschlüsse, sondern auch auf die Lehrinhalte. Ein zentraler Baustein war die von Bologna erforderte Vermittlung von Schlüsselkompetenzen. Bereits 1999 wurde an der Hochschule Bochum das Institut für Zukunftsorientierte Kompetenzentwicklung (IZK) gegründet, das seit 2017 als Institut für Studienerfolg und Didaktik (ISD) weiterbesteht. Auch dies eine Innovation, die noch vor der eigentlichen Umsetzung des Bologna-Prozesses etabliert wurde. „Die Gründung ging auf den damaligen Rektor Martin Grote zurück“, berichtet Martin Spreen, damals einer der ersten Mitarbeiter des IZK. „Das fiel mit der wenig später einsetzenden Bologna-Reform zusammen. Wir haben viele Ansätze bereits im IZK umgesetzt und damit begonnen, sogenannte soft skills in die Curricula zu integrieren.“
Vermittlung von Schlüsselkompetenzen bedeutete am IZK ab dem ersten Semester ein Programm, das methodische und sozial-kommunikative Kompetenzen und Fremdsprachen beinhaltete, betrieben durch ein im Vergleich zu heute noch kleines Team von Lehrbeauftragten und drei Professor*innen. Der 2020 verstorbene Prof. Dr. Martin Grote war von 1997 bis 2001 Rektor in Bochum und hat die Hochschule gleichsam ins neue Jahrtausend geführt.
Das IZK beschreibt er in einem 2001 im fhboJOURNAL erschienenen Interview als Ort einer „ganzheitlichen, vernetzten, holistischen Ausbildung, die eben nicht lexikalisch-kopflastig (…), sondern (…) handlungsorientiert angelegt ist und die Schlüsselqualifikationen in einem Durchgang mit den fachlichen Kompetenzen vermittelt“. Bologna hat somit einen Aspekt in der Lehre verstärkt, der an der Hochschule Bochum schon präsent war. Das IZK hatte damals in der deutschen Fachhochschul-Landschaft Alleinstellungscharakter.
Und auch in Hinsicht auf die Arbeit mit den Studierenden setzte das Institut nachhaltig wirksame Impulse. „Die Kurse waren von Anfang an interdisziplinär zusammengesetzt“, erzählt Martin Spreen. „Hier trafen Studierende aus den unterschiedlichsten Fachbereichen aufeinander. Und das ist bis heute so.“ Das IZK und heute das ISD ermöglichten eine Durchmischung der Studierenden verschiedener Fachbereiche. „Wir waren an der Stelle sehr neu, sehr weit und auch sehr anders“, resümiert Martin Grote. „Mit dem IZK haben wir einen eigenen Weg in der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen gefunden, noch bevor diese Vermittlung in Deutschland Standard wurde und von dem sich die eine oder andere Hochschule einiges abgeguckt hat.“
Der Master als Baustein auf dem Weg zum Promotionsrecht
Eine Kritik an Bologna richtete sich auf das vergleichsweise aufwändige Verfahren zur Akkreditierung neuer Studiengänge. Gerade an der Umstellung auf Bachelor und Master zeigt sich aber im Rückblick der große Gewinn für die Fachhochschulen, der unter anderem in der überfälligen Anerkennung als Forschungsinstitution besteht und in der Frühphase des Reformprozesses noch nicht abzusehen war. Die Möglichkeit der Akkreditierung von Master-Studiengängen hat wesentlich dazu beigetragen, die Fachhochschulen gegenüber den Universitäten aufzuwerten. Die im Dezember 2020 erfolgte Einrichtung des Promotionskollegs für angewandte Forschung in Nordrhein-Westfalen (PK NRW) ist der zurzeit jüngste Schritt auf dem Weg zum Promotionsrecht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.
Das Promotionskolleg NRW ging aus dem 2016 gegründeten Graduierteninstitut für angewandte Forschung der Fachhochschulen NRW (GI NRW) hervor. Es darf, wenn die aktuell laufende Begutachtung positiv verläuft und das Land das Promotionsrecht verleiht, selbst Promotionsverfahren durchführen. Dieser Schritt wäre ohne die Einführung des Master und der damit einhergehenden Gleichwertigkeit von Universitäts- und Fachhochschulabschlüssen nicht möglich gewesen, erklärt Prof. Dr.-Ing. Martin Sternberg, von 2006 bis 2016 Präsident der Hochschule Bochum und danach Vorsitzender sowohl des GI NRW als auch des PK NRW und zudem Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats: „Das Zugestehen von Master-Studiengängen war ja keineswegs selbstverständlich. Wenn man damals politisch durchgesetzt hätte, dass Masterabschlüsse nur von Universitäten vergeben werden dürfen, würde die Fachhochschullandschaft heute ganz anders aussehen.“
Allerdings waren der Innovations- und Erneuerungsprozess in Bochum auch in diesem Punkt bereits auf dem Weg. Laut Sternberg war besonders wichtig: „Es hat an der Fachhochschule Bochum auch vor Bologna einen Trend hin zur Forschung gegeben.“ Das Lehrpersonal der Fachhochschulen der Siebziger- und Achtzigerjahre hat sich zum Teil noch an den Vorgängerinstitutionen der Fachhochschulen orientiert, also zum Beispiel an den Ingenieurschulen oder höheren Wirtschaftsfachschulen.
„Die Leute waren alle sehr gut und fachlich ausgewiesen, hatten aber definitiv keinen Forschungsauftrag“, so Martin Sternberg. In den Neunzigerjahren hat ein Generationswechsel stattgefunden, hin zu jüngerem Personal, das forschungsorientiert war. Einen weiteren großen Schritt nach vorne bedeutete in dieser Hinsicht der 2009 gegründete Außencampus Velbert/Heiligenhaus, an den vor allem Professor*innen berufen wurden, die sich als forschende Wissenschaftler*innen verstehen und den Campus entsprechend prägen.
Parallel zum Bologna-Prozess lässt sich außerdem eine Zunahme an Forschungsförderprogrammen konstatieren, die teilweise speziell für Fachhochschulen ausgeschrieben waren. Es haben also diverse einzelne Stränge zu der zunehmenden Forschungsstärke der Fachhochschulen und der steigenden Anzahl von Promotionen mit Fachhochschulbeteiligung geführt, fasst Martin Sternberg zusammen. „Und ein Strang war der Bologna-Prozess.
Der Master führte zu einem akademischen Niveau,das die Fachhochschulen vorher nicht angeboten haben.“ Die nicht zuletzt über die Gleichstellung der Abschlüsse – ein an einer Universität erworbener Master-Abschluss hat den gleichen Rang wie ein an einer Fachhochschule erworbener – bedingte generelle Aufwertung der Fachhochschulen als Lehr- und Forschungsinstitutionen ließ eine Reform des Promotionsrechts unvermeidlich werden.
Die Kritik an der Bildungsreform kann an vielen Punkten ansetzen. Die Einschätzung, dass der Nutzen für die Fachhochschulen am Ende überwogen hat, lässt sich allerdings schwer von der Hand weisen. „Man kann sagen, dass die Fachhochschulen zu den Gewinnern des Bologna-Prozesses gehören“, resümiert Martin Sternberg. Gewinner eines Prozesses, der in Hinblick auf das Promotionsrecht für Fachhochschulen noch nicht abgeschlossen ist.
Dr. Benjamin Moldenhauer, Universität Bremen, Redakteur des hochschulpolitischen Hopo-Newsletters