Die „Gender“-Diskussion ist ein spannungsgeladenes Themengebiet zwischen Politik, Rechten, persönlicher Betroffenheit und gelebter Realität. Eines ist klar: das Thema ist emotionsgeladen, jeder hat eine Meinung dazu. Für manche ist der Umgang damit eine linksliberale Lifestyle-Frage, andere verdrehen bei öffentlichen Debatten oder geschlechtergerechter Sprache genervt die Augen. Von einer flächendeckenden gesellschaftlichen Akzeptanz sind wir noch weit entfernt. Für die Hochschule Bochum geht es bei dem Thema um mehr als geschlechtsneutrale Sprachregelungen und Gleichstellung im Hochschulalltag – es geht um Chancengleichheit für alle Bevölkerungsgruppen und um den Umgang mit Diskriminierungs-Risiken in Forschung, Lehre und Entwicklung. Aber wie geht man dieses Thema als Hochschule an, wenn die Realität noch so weit entfernt ist von einer repräsentativen und gleichberechtigten Vielfalt? Es geht wie bei jedem großen Change- Prozess nur Schritt für Schritt und lebt von dem offenen Dialog.
Wie neutral ist Technik?
Die Basis ist das Erkennen der aktuellen Situation und deren Bedeutung für die Zukunft. Als technische Hochschule hat die BO Einfluss darauf, inwieweit sie den Aspekt der Chancengleichheit in technische Entwicklungen mit einbezieht. Die Bedeutung des Themas wird klar, wenn wir auf die Bereiche der Automatisierung und der Künstlichen Intelligenz blicken. KI begleitet uns in allen Lebensbereichen und ist fester Bestandteil unseres Alltags. Sie ist ein großer Erfolgsfaktor für den Fortschritt in Medizin und Wirtschaft. Umso wichtiger ist es, Gefahren und Chancen zu erkennen und bewußt mit ihnen umzugehen. Aus bekannten Beispielen kann man dabei viel lernen. Der USKonzern Amazon mußte seinen automatisierten Prozeß zur Bewerbungserfassung einstellen, da die Software Frauen benachteiligte. Die Software bezog sich auf „angenommene Bewerber“ und verdeutlichte dabei die grundlegende Problematik des maschinellen Lernens, denn je mehr die Software über einen bestimmten „Typus“ weiß, desto besser kann sie diesen differenzieren.
Gesichtserkennungs-Software kann zum Beispiel Männer mit weißer Hautfarbe deutlich besser differenzieren als Frauen oder Menschen mit anderen kulturellen Merkmalen, auch hier gibt es noch viel Verbesserungspotenzial. Die gute Nachricht ist, sobald die Risiken klar werden, zeigen sich auch die Chancen, die in der KI liegen.
„Alexa, bist du eine Frau?“ oder „Brauchen wir diese Frage eigentlich?“
Wie sich bewusste oder unbewusste Erwartungshaltungen hinsichtlich Geschlechterrollen in der Künstlichen Intelligenz spiegeln, wird auch am Beispiel von intelligenten Sprach- Anwendungen deutlich, die zukünftig immer mehr die Tastatur ersetzen werden. Während Service-orientierte Produkte wie Amazon‘s Alexa oder Apple‘s Siri eine Grundeinstellung mit weiblicher Stimme haben, sind KI-Systeme für komplexe Aufgaben im professionellen Umfeld (wie IBM‘s Watson oder das CRM-Tool Salesforce Einstein) mit männlichen Stimmen voreingestellt. So bevorzugen es laut einiger Studien die Nutzer. Noch. Denn mit Funktionalität hat dieser gesellschaftliche „Bias“ (zu deutsch „Voreingenommenheit“) nichts zu tun. Und genau hier liegt die große Chance der KI: die Technologie birgt das Potential, konventionelle Geschlechtergrenzen aufzuweichen, statt diese unbewußt weiter zu verstärken. So hat beispielsweise ein dänisches Team aus Sounddesignern, Linguisten und Aktivisten die geschlechtsneutrale Stimme „Q“ entwickelt, die die Frage, ob Alexa eine Frau oder ein Mann ist, überflüssig macht.
Dialog und Mitgestaltung an der BO
Chancengleichheit, Diskriminierungsfreiheit und Wertschätzung von Vielfalt sind fest im Werte-Leitbild verankert. So ist auch die Mitgestaltung der Frauen in der Technik und der Digitalen Transformation der BO als technisch ausgerichtete Hochschule ein wichtiges Anliegen. Um ein Bewußtsein für die Thematik zu schaffen, aktuelle Projekte vorzustellen oder Handlungsfelder zu identifizieren, gibt es regelmäßig Kommunikationsmaßnahmen und Netzwerkveranstaltungen.
Ein wichtiges Forum ist WomEngineer, das Netzwerk der Frauen in der Technik an der Hochschule Bochum. Studentinnen und Mitarbeiterinnen der Hochschule haben in diesem Rahmen z. B. bei einer Informationsveranstaltung mit dem Titel „Digitalisierung – Anforderungen und Chancen“ unterschiedliche Anwendungsgebiete von Digitalisierung vorgestellt und sichtbar für einen größeren Kreis gemacht. Eines von vielen interessanten Referaten behandelte die Akzeptanz der Integration von Robotik im Pflegebereich und warf damit auch die Frage nach den sozialwissenschaftlichen Aufgaben auf, die mit der Techniknutzung verbunden sind. Eine wichtige Erkenntnis zur Lösung derartiger Aufgaben im ganzheitlichen Sinne war für die Referentin Ann Stinder: „Wir müssen miteinander reden“. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig eine offene, interdisziplinäre Kommunikation bei der
Digitalisierung ist.
„Ebenso kam aber auch die Herausforderung oder Gefahr der Diskriminierung von bestimmten Gruppen in der Künstlichen Intelligenz zur Sprache.“, berichtet Prof. Dr. Dorothee Feldmüller, die als eine der wenigen weiblichen Lehrenden aus dem MINT-Bereich nicht nur aktive Gestalterin des Dialogs, sondern auch gemeinsam mit ihren Kolleginnen wichtiges Rollen-Vorbild ist. Der Dialog geht weiter und führt zu neuen Maßnahmen, z. B. der Idee, gemeinsam mit dem neu gegründeten Institut AKIS eine Veranstaltung zu Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz zu organisieren, in der auch die Diskriminierung nach Geschlecht, Rasse und weiteren kulturellen Merkmalen thematisiert wird. AKIS fördert die Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Data Science entlang der Ruhrachse und vertritt „Trustworthy KI“, also unter anderem die Nachvollziehbarkeit und Fairness von Entscheidungen der KI. Ein weiterer gemeinsamer Schritt auf dem Weg zur Vision, der ohne Kollegialität, gegenseitige Wertschätzung und aktiver Beteiligung – alles Werte des Hochschul-Leitbildes übrigens – nicht möglich wäre. „Ich wünsche mir bei der Umsetzung Achtsamkeit, Sensibilität und die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven“ fasst Gleichstellungsbeauftragte Regina Schrade die gemeinsame Mission zusammen und zeigt dadurch auf, dass Vielfalt und Teamarbeit in jeglicher Hinsicht eine Notwendigkeit zur Gestaltung des Wandels sind.