Großer Nutzen
Ob bei Überschwemmungen des Nils oder der Einführung des Parzellenkatasters unter Napoleon – seit Jahrtausenden werden Geodätinnen und Geodäten gebraucht. Nur trugen sie damals noch nicht diese Berufsbezeichnung. Sie waren Fachleute, die Strecken vermaßen, Flächen einteilten und Höhen bestimmten. Heute kommen viele weitere Arbeitsbereiche hinzu. Geodätinnen und Geodäten unterstützen bei der Erfassung des Klimawandels, ermöglichen ein nachhaltiges Flächenmanagement und helfen bei der Aufnahme von Verkehrsunfällen. Wie wichtig die Aufgabe der Geodäsie ist, zeigt sich auch beim längsten Eisenbahntunnel der Welt: Beim Bau des Gotthard-Basistunnels waren sie nämlich diejenigen, die dafür sorgten, dass sich die von zwei Seiten in den Berg getriebenen Bohrlöcher millimetergenau trafen.
RAUMBEZUG
Überall ist Geodäsie: „Ob zu Wasser, zu Land oder in der Luft – Geodäsie liefert wichtige Daten über den uns umgebenden Raum. Virtuelle Land- und Straßenkarten helfen bei der Suche nach dem kürzesten Weg oder der schönsten Wanderroute. Klimatologinnen und Klimatologen können dank unserer Messungen der Gletschergrößen oder des Meeresspiegels die Auswirkungen des Klimawandels erfassen. Und auch in der Landwirtschaft unterstützen Drohnen mit Vermessungstechnik bei der nachhaltigen Bewirtschaftung der Felder. Die Geodäsie ist also weit mehr als Grundstücksvermessung und spielt in nahezu allen Lebensbereichen einenwichtige Rolle.“
GREIFBAR
Unendliches Entwicklungspotenzial: „Das Schöne an Geodäsie ist: Sie ist greifbar. Seit Jahrhunderten liefert sie Daten, die eine Grundlage wichtiger Berechnungen bilden. Lot und Visierkreuz wurden bereits in der Antike genutzt, um Straßen zu bauen und Karten zu erstellen. Und eine gewöhnliche Stadtkarte war auch der Ursprung der Geoinformatik. Als der Arzt John Snow während der Cholera-Epidemie 1854 in London die Bereiche in einer Karte markierte, in denen es viele Todesfälle gab, entdeckte er eine kontaminierte Wasserpumpe. Sie wurde abgestellt, die Cholera-Epidemie wurde durchbrochen. Und das nur, indem er Daten einen expliziten Raumbezug gab und so einen räumlichen Zusammenhang feststellen konnte. Genau das ist die Aufgabe der Geoinformatik – nur heutzutage eben digital.“
AUGENHÖHE
Freiraum ist notwendig: „Der Umgang mit Geodaten ist eine besondere Schlüsselkompetenz, die immer wichtiger wird. Es ist von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, dass junge Menschen mit Daten umgehen und diese hinterfragen können. Wir geben unseren Studierenden Freiräume, damit sie eigenständig Neugierde und Interesse an Raumdaten entwickeln können und ihr Forschungsinteresse geweckt wird. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Dieses Vertrauen in die Studierenden ist wichtig und ein elementarer Bestandteil unserer Lehre.“
VORREITER
Gestaltung der Region unterstützen: „Heute wie in Zukunft gilt es für die Hochschule, Lehre und Forschung sich in einer dynamischen Umgebung weiterzuentwickeln. Wir sind in Nordrhein-Westfalen DER Geodäsie-Standort unter den Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Diese Rolle werden wir durch intensive interdisziplinäre Kooperationen – sei es im Bereich Nachhaltigkeit, Building Information Modeling oder künstliche Intelligenz – weiter ausbauen und so eine Vorreiterrolle bei der Gestaltung einer lebendigen, sich stets im Wandel befindlichen Region übernehmen.“
Luftige Höhen
LEO-Flugzeug, 1988, Prof. Franz-Josef Heimes
Viele Hürden für die Vermessung aus der Luft hat der Fachbereich Geodäsie auf sich genommen. Seit 1988 hatte Professor Franz-Josef Heimes die Möglichkeit, auf die Cessna 172 eines privaten Flugvereines zurückzugreifen.
Mit dem Leichtflugzeug verschlug es das Team des Labors für Photogrammetrie für Aufnahmen einer Ausgrabung sogar nach Marathon in Griechenland. In den 1990er Jahren kam dann der vom Professor privat finanzierte Flugzeugbausatz einer Pulsar XP aus den USA für die Local Earth Observation, kurz LEO, an. Dank eines speziell angefertigten Lochs im Flugzeugrumpf fand auch eine Kameraaufhängung für die Luftbildvermessung ihren Platz. Diese sorgte dafür, dass die Kamera, unabhängig von der Flugzeugbewegung, immer senkrecht zum Boden zeigte – eine weltweite Neuheit in Ultraleichtflugzeugen. Um die Prüfung durch das Luftfahrt Bundesamt zu bestehen, wurde u.a. mit dutzenden Säcken Zement die Stabilität des selbst zusammengebauten Flugzeuges getestet – ein erfolgreicher Umbau, der insgesamt 10 Jahre dauerte. Die in den Anfängen noch analoge Luftbildmessung an der FH Bochum wurde so zu einem innovativen, viel beachteten digitalen Luftbildaufnahmesystem.
Detailierte Handarbeit
Geodätische Arbeiten zu archäologischen Forschungsprojekten in der Türkei, 1993, Prof. Dr.-Ing. Franz-Josef Lohmar, Prof. Dr.-Ing. Lothar Lenzmann, Dr.-Ing. Hans-Severin Haase
Die Westküste Kleinasiens wurde bereits 2000 v. Chr. besiedelt. Dort entwickelte sich in der Antike eine der bedeutendsten griechischen Städte: Milet. Eine archäologische Fundgrube, die seit Jahrzehnten Forscher in die heutige Türkei lockt.
Seit 1993 war auch regelmäßig ein Geodäten-Team der Hochschule Bochum vor Ort. Es richtete ein festes geodätisches Bezugssystem ein, das auf dem damals neu aufkommenden Global Position System – kurz GPS – basierte. So wurden großflächige und doch zentimetergenaue Vermessungen erstmals möglich. Früh wurden auch Geodäsie-Studierende der Hochschule Bochum einbezogen und vermaßen bereits 1994 Grabhöhlen in der Berglandschaft. Die etwa 70 Zentimeter hohen und 1,50 mal 1,50 Meter breiten Kammern ließen kaum genug Platz zum Stehen. Aluplatten reflektierten das Sonnenlicht und erhellten die dunklen Grabkammern, damit in stundenlanger Handarbeit Messpunkte bestimmt werden konnten. Die Bilanz: Nach drei Stunden war ein Grab mithilfe von 360 Messpunkten vermessen. Heutzutage sind dank terrestrischem Laserscanner 360 Millionen Messpunkte in der gleichen Zeit möglich.
Kleiner Unterschied
Vermessung des K2, 1996, Prof. Dr.-Ing. Franz-Josef Lohmar/ Dipl.-Ing. Bernd Kettling
Sechs Wochen lang war ein Lager in 5.400 Metern Höhe das Zuhause für ein Projektteam der Geodäten. Es war gemeinsam mit den italienischen Forschungspartnern nach Pakistan gereist, um die Höhe des K2 zu bestimmen und Gletscherbewegungen zu messen.
Für die Höhenmessung nutzen Geodäten normalerweise den letzten bekannten Höhenpunkt als Ausgangspunkt. Da dieser aber 150 Kilometer Luftlinie – und somit zwölf Reisetage – entfernt lag, griff das Team auf eine 30-stündige GPS-Messung zurück. Ob der letzte Messpunkt auch wirklich den höchsten Punkt des K2 abbildet, wissen die Geodäten bis heute nicht. Der Eisgipfel variiert in der Höhe je nach Jahreszeit und Witterungsverhältnissen. Hinzu kommt eine weitere Herausforderung: Die erhobenen Daten werden durch die Gravitationskräfte des Hochgebirges beeinflusst. Das Team musste weitere Parameter einfließen lassen, um die Daten zu bereinigen und zur Höhenauswertung nutzen zu können. Erst daheim in Bochum konnten daher alle Informationen zusammengeführt und das Ergebnis der Expedition veröffentlicht werden: 8.616 Meter – fünf Meter mehr als die offizielle Höhe.
Schwimmen erlaubt
Messboot, 2016, Prof. Dr.-Ing. Brigitte Gundlich und Prof. Dr. rer. nat. Benno Schmidt/ Rouven Borchert und Sebastian Michels
Fächerecholot, Wasserschallsonde und GPS-Empfänger – das sind nur drei Komponenten des Messbootes aus dem Fachbereich Geodäsie. Seit 2016 ist es im Einsatz und hilft bei der Vermessung von zum Beispiel Höhenunterschieden im Gewässergrund.
Mit Schallwellen tastet das Echolot den Boden ab und erstellt ein 3D-Modell in Echtzeit. Diese Technik machte sich auch die Stadt Bochum zunutze. Sie bat den Fachbereich, einen Abschnitt der Ruhr bei Dahlhausen zu untersuchen, um in der dortigen Ruhraue das Schwimmen wieder ffiziell zu erlauben.